Donnerstag, 28. November 2024

Versuchter Mord aufgrund von Spielsucht: Nun äußert sich die Überlebende

Frau auf OP-Tisch

Im November 2019 wird die damals 19-jährige Gizem an ihrem Arbeitsplatz, einer Bäckerei in Iserlohn, Opfer eines Mordversuchs. Sie überlebt nur knapp. Beim späteren Prozess stellt sich heraus, dass die Täterin, ihre schwer spielsüchtige Chefin Claudia K., mit Gizems Tod Diebstahl hatte verschleiern wollen. Nun hat die Überlebende im Funk-Format Tru Doku über die Tat und ihre Folgen gesprochen.

„Sowas kann man nicht verzeihen“

Wegen weniger als 2.000 Euro, so zeigte sich das Landgericht Hagen in seinem Urteil überzeugt, habe die 48-jährige Claudia K. versucht, ihrer jungen Kollegin das Leben zu nehmen.

Insgesamt 1.850 Euro habe die Frau in den Wochen zuvor aus der Kasse entwendet, um ihre Spielsucht zu finanzieren. Die Entnahmen seien im Namen Gizems quittiert gewesen. Irgendwann habe sie entschieden, dass Gizem, die den Betrug hätte aufklären können, sterben müsse.

Rund anderthalb Jahre, nachdem ihre ehemalige Chefin versuchte, sie zu ermorden, macht die heute 20-Jährige ihre Geschichte öffentlich. In der rund 17-minütigen Dokumentation, die in dieser Woche auf YouTube erschienen ist, macht sie keinen Hehl aus ihrer Fassungslosigkeit:

„Allein für Geld einen Menschen umzubringen, ist wirklich sehr, sehr ekelhaft. Und ich kann es natürlich bis heute nicht verstehen, wieso sie das getan hat. Und ich werde ihr das auch nie verzeihen. Sowas kann man einfach nicht verzeihen.

Claudia K. attackierte Gizem am 18.11.2019 in einem Nebenraum der Bäckerei mit einem Messer. Lebensgefährlich verletzt, gelang es der jungen Frau, sich in den Verkaufsraum zu schleppen. Im von anwesenden Kunden alarmierten Notarztwagen verlor sie dann das Bewusstsein.

In zwei Notoperationen und mit rund zwei Dutzend Bluttransfusionen kämpften die Ärzte um ihr Leben. Zweimal musste sie reanimiert werden. Die Medizinier, so Gizem, hätten ihr eine Überlebenschance von 10 % eingeräumt.

Beschuldigte bestreitet Mordvorwurf

Im Prozess, der im Mai 2020 vor dem Landgericht Hagen begann, gestand die Angeklagte zwar den Diebstahl, nicht aber den Mordversuch. Bereits zuvor hatte sie in Vernehmungen wiederholt behauptet, Gizem sei in das Messer „gelaufen“, weil sie sich vor einer Spinne erschreckt habe. Auch eine Abhängigkeit vom Glücksspiel als Motivlage dementierte sie.

Nichtdestotrotz hegte das Gericht keine Zweifel an der Schuld der Frau. Es verurteilte sie am 27. August 2020 wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung und veruntreuender Unterschlagung zu zwölf Jahren Gefängnis.

Gizem beschreibt, dass sich ihr Leben seit dem Angriff vollständig verändert habe. Nach einer langen und anstrengenden Zeit, in der sie körperlich wieder zu Kräften habe finden müssen, lägen die Schatten der Tat schwer auf ihrer Seele. So bleibe unter anderem der Anblick von Messern für die junge Frau unerträglich. Hilfe bei der Verarbeitung der Geschehnisse finde sie unter anderem bei einer Therapeutin und ihrem Hund, den sie sich nach der Tat angeschafft habe.

Eine weitere schwere Hürde könnte Gizem noch bevorstehen. Das Urteil gegen ihre ehemalige Chefin ist bislang nicht rechtskräftig. Die Verurteilte will den Fall in einem Revisionsverfahren erneut aufrollen lassen.