Freitag, 22. November 2024

Spielsucht und deren Therapie – Das Beispiel einer Londoner Klinik

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Seit 2008 gibt es in London eine Klinik, die sich allein auf das Behandeln von Spielsucht spezialisiert hat. Während das Nationale Gesundheitssystem (NHS) nicht genügend Gelder für die nötigen Therapien bereitstellt, wächst die Zahl der Betroffenen. Dabei scheinen die Therapieansätze der Klinik überaus vielversprechend.

Großer Andrang auf die Klinik

Mit der explosionsartigen Verbreitung von Glücksspielprodukten, allen voran Online Casinos und Sportwetten, sind die Spielsucht und deren Behandlung international zu einem wichtigen Thema geworden. In Großbritannien, wo das Glücksspiel legal und reguliert ist, scheint das krankhafte Spielen ein besonders großes Problem.

Während Organisationen wie GambleAware oder GamCare großflächig über die Gefahren des Glücksspiels aufklären, gibt es längst nicht die nötigen Gelder, um allen Betroffenen wirklich effektiv helfen zu können.

NHS

Klinik dank NHS gegründet (Bild: Wikipedia)

Im Londonder Stadtteil Fulham eröffnete im Jahr 2008 die National Problem Gambling Clinic, die sich künftig ausschließlich auf Spielsucht spezialisieren würde. Finanziert wurde die Klinikgründung durch eine örtliche Stiftung des Nationalen Gesundheitssystems (Central and North West London NHS Foundation Trust).

Seit Eröffnung der Klinik werden wöchentlich rund 15 Patienten (sogenannte Problemspieler) aufgenommen. Diese Zahl wäre deutlich höher, wenn die Klinik mehr Kapazitäten zur Verfügung hätte.

Henrietta Bowden-Jones, eine Psychologin, die in der Klinik arbeitet, erklärte, dass die meisten Patienten Männer zwischen 30 und 50 Jahren seien. Oftmals kämen diese als letzte Zuflucht in die Klinik, nachdem sie bereits ihre Jobs, Häuser oder gar Familien verloren hätten.

Oft hätten sich aufgrund der Spielsucht über viele Jahren unüberwindbare Schuldenberge angehäuft. Die Betroffenen stünden daher unter enormem Stress und hätten darüber hinaus große Schwierigkeiten, mit ihren Schuldgefühlen zurecht zu kommen.

Das Ausmaß des Problems

Immer wieder werden Studien und Umfragen durchgeführt, um herauszufinden, wie viele Menschen genau unter krankhaftem Spielverhalten leiden. Doch oft handelt es sich dabei um örtliche Umfragen, die dann entsprechend hochgerechnet werden. Große Dunkelziffern sind also in jedem Fall zu erwarten.

Laut Angaben der letzten offiziellen Umfrage der „The British gambling prevalence survey“ sind in Großbritannien rund 450.000 Menschen von Spielsucht betroffen. Dies entspricht fast einem Prozent der gesamten Bevölkerung.

Auch in Deutschland liegt der Prozentsatz bei rund 1 % der Gesamtbevölkerung, wie eine Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bekannt gab. So würden mehr als 500.000 Menschen als „kritisch“ in Bezug auf ihr Spielverhalten eingestuft. Unterschieden wird dabei zwischen „problematischen Spielern“, welche kurz davorstehen, eine Spielsucht zu entwickeln, und den „pathologischen Spielern“, bei welchen diese bereits voll ausgeprägt ist.

Knapp ein Drittel der pathologischen Spieler käme schuldenfrei aus der Spielsucht, während 51 % Schulden von bis zu 25.000 Euro aufwiesen und die restlichen 16 % sogar noch deutlich über diese Summe hinaus verschuldet seien. Für Vater Staat bedeutet die hohe Zahl der Spielsüchtigen ebenfalls große finanzielle Einbußen, da insgesamt 326 Mio. Euro jährlich für Therapien, Gerichts- und Strafverfolgungskosten sowie den Arbeitsausfall der Patienten investiert werden müssten.

Die Patienten, die sich in die Londoner Klinik einweisen lassen, haben zum Teil jedoch deutlich höhere Schulden als der durchschnittliche deutsche Problemspieler. Frau Bowden-Jones berichtete von Fallbeispielen, bei denen die Schulden in den mittleren bis hohen sechsstelligen Bereich gingen.

Das meiste Geld ginge dabei an den sogenannten Fixed-Odds-Betting-Terminals verloren, welche in den letzten Monaten aufgrund der hohen Verlustrate für viel Wirbel in der britischen Politik gesorgt haben.

FOBT Fixed-Odds-Betting-Terminal

Hohe Verluste an Fixed-Odds-Betting-Terminals (Bild: CasinoOnline)

Aber besonders gefährlich sei das allzeit verfügbare Online Glücksspiel, welches in den letzten zehn Jahren einen enormen Popularitäts-Boom erfahren hat. Der Unterbereich der Sportwetten sei dabei ein beträchtliches Problem, denn anders als vor vielen Jahren, kann man heute nicht mehr nur auf das Gewinnen oder Verlieren eines Teams oder Sportlers wetten, sondern hat nahezu endlos viele Optionen und Kombinationen zur Wahl.

Für einen großen Teil der Fußballfans beispielsweise gehöre das Platzieren von Wetten heute zum Fußballschauen dazu. Gerade die Möglichkeit, noch während des Spiels Wetten zu platzieren, sei dabei sehr reizvoll. In der Folge fühlten sich viele Fußballfans jedoch das gesamte Spiel über gestresst und würden sich mehr auf ihre platzierten Wetten fokussieren als das Spiel selbst zu genießen.

Psychologische Betreuung für Betroffene und Familien

Patienten, die in die Klinik kommen, werden zunächst intensiv psychologisch untersucht, damit ein passender Therapieplan erstellt werden kann. Angeboten werden dann entweder individuelle Sitzungen oder Gruppensitzungen mit anderen Betroffenen.

Ein wichtiger Ansatz ist die Kognitive Verhaltenstherapie, die beispielsweise auch bei Essstörungen und anderen psychischen Erkrankungen angewendet wird. In der Therapie lernen die Betroffenen, ihre persönlichen Auslöser (trigger) zu erkennen und diese reflektiert zu betrachten, sobald sie aufkommen.

Neben Stress und Trauer kann es viele Auslöser geben. Für viele Betroffene sei die schlichte Anwesenheit größerer Geldbeträge ein Auslöser zum zwanghaften Spielen. Das Bewusstsein der Auslöser und das Erlernen, den Impulsen nicht nachzugehen, sind daher die wichtigsten Bausteine der Therapie.

Oft wenden sich auch Ehepartner und Familienmitglieder an die Kliniken oder begleiten die Betroffenen in die Therapie. Laut Bowden-Jones seien es vor allem die Ehefrauen, die unter den Folgen der Spielsucht ihres Mannes litten. Neben finanziellen Problemen erführen die Frauen eine enorme psychologische Belastung und in Extremfällen Gewalt.

Letzter Ausweg: Medikamente

Doch leider gibt es schwerwiegende Fälle, bei denen die Therapien und psychologische Betreuung nicht anschlagen, oder es nach einer Phase der Abstinenz zu Rückfällen noch größeren Ausmaßes kommt.

In nur sehr wenigen Ausnahmefällen wurde daher in der Londoner Klinik ein Medikament ausprobiert, welches den Drang des Spielens auf chemischer Basis stoppen soll.

Belohnungssystem Gehirn

Das Medikament greift ins Belohnungszentrum (in lila) des Gehirns ein (Bild: Wikimedia)

Dabei handelt es sich um das Medikament Naltrexon, welches gewöhnlich Alkoholikern und Heroinabhängigen verabreicht wird. Der Opioidantagonist wirkt dabei direkt auf das Belohnungszentrum des Gehirns und soll das Ausschütten von Glückshormonen beim Spielen oder dem Gedanken an das Spielen blockieren.

Dies wiederum kann sich auch auf andere Gefühlsbereiche des Lebens auswirken, weshalb Patienten darüber Buch führen sollen, ob beispielsweise auch Essenslust oder der Sexualtrieb eingeschränkt werden.

Noch befindet sich das Medikament in Großbritannien in einer Testphase, weshalb es nur als „letzter Ausweg“ an ausgewählte Personen gegeben werden darf. Bowden-Jones drängt daher darauf, dass das Medikament offiziell auf den Markt kommt:

Mit jedem Tag der Verzögerung zerbrechen Familien. Menschen verlieren ihr Zuhause, erleben häusliche Gewalt oder geraten in die Kriminalität. Jeder Tag in der Spielsucht ist bedeutend, denn es werden ganze Leben ruiniert, und zwar schnell.

In Australien und den USA wird das Medikament schon seit mehreren Jahren gegen Spielsucht eingesetzt und viele Patienten in Großbritannien schauen sehnsüchtig nach Übersee, da eine medikamentöse Behandlung in einigen Fällen der Einzige Ausweg zu sein scheint.

Doch bis mehr Gelder aus der Gesundheitskasse zur Verfügung stehen oder neue Einrichtungen und Kliniken eröffnet werden, bleibt die Spielsucht für viele Betroffene ein täglicher Kampf.