Pokerrunden in Hinterzimmern: Harmlos, anrüchig oder organisiertes Verbrechen?
Poker um viel Geld ist laut deutschem Glücksspielstaatvertrags verboten, wenn es außerhalb einer staatlich lizensierten Spielbank stattfindet. Doch nicht jeder möchte unter staatlicher Aufsicht spielen. Neben dem Online-Poker florieren Texas Hold`em & Co. auch offline: In geheimen Pokerrunden.
Pokerboom lässt nicht nach
Ende der 90er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts erfasste die Deutschen ein Trend, der bis heute Bestand hat. Plötzlich verbrachten insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene viel Zeit mit einem Klassiker des Kartenspiels: Poker hatte sie in seinen Bann gezogen.
Zur Ausrüstung einer durchschnittlichen Clique gehörte von nun an mindestens ein Pokerkoffer mit Karten und Chips, die meist diskutierte Frage lautete: „Geht es um Glück oder Strategie?“. Noch heute ist sie für viele nicht abschließend beantwortet.
Poker als allgegenwärtige Verlockung
Lockt Pokerspieler mit seinem Charme: Das Casino Esplanade in Hamburg (Quelle: AltSylt, licensed under CC 4.0)
Wer heutzutage pokern möchte, kann das zu Hause mit seinen Freunden tun, bequem vor dem heimischen Computer, per mobile App oder im Casino.
Im der Hamburger Spielbank Esplanade setzt man gern auf ein Rundum-Erlebnis: Live-Musik, Goldene Kronleuchter und Lounge-Atmosphäre versetzen die gutgekleideten Besucher in die Welt von Oceans 11 und Co.
Der Pokertisch wird hier für viele zum Ort eines leicht anrüchigen Freizeitspaßes, bei dem man sich mit Fremden und Freunden messen kann.
Weit weniger glamourös zeigt sich die Welt der Hinterzimmer-Pokerrunden. Was ein bisschen wie eine verrauchte Phantasie aus Zeiten der amerikanischen Prohibition klingt, ist in vielen Städten ganz und gar unromantische Realität: In Privatwohnungen und den Hinterzimmern von Kneipen oder sogar Spielotheken treffen sich regelmäßig Spieler, um im Untergrund und am Staat vorbei der Hoffnung auf den großen Gewinn zu frönen.
Grundsätzlich ist es unproblematisch mit Freunden eine kleine Pokerrunde mit Echtgeldeinsätzen abzuhalten.
Voraussetzung ist, dass solche Turniere ausschließlich in privaten Räumlichkeiten stattfinden. Ein netter Abend in der Stammkneipe darf also nicht zum Spiel um Geld genutzt werden.
Hinzukommt, dass dem Gesetz zufolge, alle Spieler miteinander bekannt sein müssen. Nimmt ein Freund des Freundes der Schwester teil, müsste die Runde als öffentlich eingeschätzt werden und wäre somit nicht mehr legal.
Zudem ist auch Regelmäßigkeit ein K.O.-Kriterium, wenn man mit Freunden legal um Geld pokern möchte.
Zusätzlich darf es kein Buy-In, also einen zur Teilnahme berechtigenden Geldbetrag, geben, wenn eine private Pokerrunde sich im Rahmen der Legalität bewegen soll.
Illegale Pokerrunden: Ein einfaches Geschäftsmodell
Hinterzimmer statt Spielbank: Illegale Pokerrunden erfreuen sich großer Beliebtheit (Quelle:wolfgang.mlller54, licensed under CC 2.0)
Das Konzept von illegalen Pokerrunden als Geschäftsfeld ist einfach: Man braucht eine Lokalität, Poker-Equipment und Teilnehmer. Je nach Grad der Professionalität der Treffen und der Höhe der Einsätze kommt auf die Veranstalter noch die Organisation von „Verpflegung“ (in erster Linie Zigaretten, Alkohol und ggf. Drogen) und Sicherheitspersonal zu.
Wo Beträge im mindestens fünfstelligen Bereich auf dem Tisch liegen, kann so manch einer auf dumme Gedanken kommen, insbesondere, wenn es Fortuna nicht gut mit ihm gemeint hat. Deshalb werden die Treffen oft von Security-Mitarbeitern bewacht, die allein schon durch ihr Aussehen klarmachen, dass sie keinen Spaß verstehen und dies auch ohne zu zögern unter Beweis stellen.
20.000 Euro Verlust und ein Krankenhausaufenthalt
Was das bedeutet, erklärt ein ehemaliger Dealer: Ein Spieler, der an seinem Tisch viel Geld verloren hatte, wurde ausfällig und beschuldigte ihn des Betruges. Ein Sakrileg in der „ehrenwerten Gesellschaft“ der Hinterzimmerrunden. Zudem garnierte der Teilnehmer seinen Wutausbruch mit einer Morddrohung, was ihm schlecht bekam:
Einige Männer schleiften ihn vor die Tür und schlugen ihn dort übel zusammen. Das Resümee seines Abends: 20.000 Euro Verlust und ein Krankenhausaufenthalt.
Wer mit den großen Jungs (99 % der Teilnehmer an solchen Pokerrunden sind männlich) spielen möchte, muss wissen, worauf er sich einlässt. In einem 24-Stunden Turnier mit ca. 80 Teilnehmern sind nicht selten mehrere Hunderttausend Euro an Bargeld im Umlauf und Menschen mit unterschiedlich starken Nerven und Frustrationsgrenzen, die es darauf abgesehen haben.
Die Teilnahme: Nur auf Einladung
Ein ehemaliger Organisator von illegalen Pokerrunden beschreibt im Interview mit dem Magazin VICE die Zusammensetzung der Spieler an seinen Tischen wie folgt:
Wichtigste Basis waren verla?ssliche Leute, die sich u?berhaupt nur in diesem Milieu bewegen konnten, weil sie sich meiner Professionalita?t bewusst waren: Das waren Pokerprofis, Topverdiener, Studenten und generell Menschen mit Gehirn. Die brauchten Gegner, an denen sie verdienen konnten, also hab ich zusa?tzlich Automatenzocker, Idioten, Sa?ufer und Kleinkriminelle rekrutiert. Die einen nahmen die anderen aus und ich profitierte davon, dass sta?ndig neues Geld auf den Tisch kam.
Ein anderer Insider erklärt den konspirativen Ablauf der Treffen: Die Teilnahme an den Pokerrunden finde nur auf Einladung statt. Diese erhalte man von den Veranstaltern auf Empfehlung anderer Spieler, die sich in der Vergangenheit bereits als vertrauenswürdig herausgestellt haben.
Mit der Einladung bekomme der Teilnehmer eine Adresse, an der er sich zu einer bestimmten Uhrzeit einzufinden habe, und eine Telefonnummer. Diese muss er anrufen, wenn er vor Ort ist, um Einlass zu erhalten. Der Insider rät jedoch jedem tunlichst davon ab, auf eigene Faust zu versuchen, an einem solchen Turnier teilzunehmen: Wer nicht auf der Gästeliste stehe, habe großes Glück, wenn er von den Türstehern nur verbal des Platzes verwiesen werde.
Von denen, die es sich leisten können. Und den anderen.
Bei illegalen Pokerrunden geht es oft um hohe Einsätze (Quelle:flickr/fufuwolf, licensed under CC 2.0)
Diese Art von Pokerrunden, bei denen der Nervenkitzel schon entsteht, bevor auch nur der erste Chip gesetzt ist, zieht ein breitgefächertes Publikum an: Da sind die Menschen, die es sich einfach leisten können, weil sie in ihren Berufen genug verdienen und zumeist vor allem des Kicks wegen spielen: Prominente Sportler und Schauspieler, Top-Manager, Profispieler.
Hinzukommen die Unglücklichen, die es sich eigentlich nicht leisten können. Die, die hoffen, sich am Pokertisch finanziell zu sanieren und bei denen hinter jedem Gewinn schon eine lange Reihe von Fehlschlägen liegt.
Und dann gibt es noch diejenigen, deren Leben und Geschäfte per se fernab der bürgerlichen Gesellschaft stattfinden: Drogenbarone, Zuhälter, kriminelle Mitglieder arabischer Clans.
Abgesehen davon, dass das Veranstalten solcher Pokerrunden nicht legal ist, ist es in erster Linie die letztgenannte Klientel, die dazu führt, dass die Polizei versucht, in voller Härte gegen die Hinterzimmeraktivitäten vorzugehen.
Vermehrt wird in Pressemitteilungen von Razzien gegen illegale Pokerrunden berichtet, doch die Aktionen der Fahnder ähneln einem Kampf gegen Windmühlen. Kein Wunder, denn bei den großaufgezogenen Pokerrunden handelt es sich um nichts anderes als hochgradig professionell organisierte Kriminalität: Die Verantwortlichen wissen, was zu tun ist, um den Ermittlern in einem Katz- und Mausspiel ein ums andere Mal zu entwischen.
Der, der auf dem Koffer sitzt
Razzia in Frankfurt: Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei (Quelle:flickr.com/Andreas Trojak, licensed under CC 2.0)
Eine der Vorsichtsmaßnahmen: Während es bei einer Razzia unmöglich ist, alle Spieler vor dem Zugriff der Polizisten zu evakuieren, gibt es einen, für den immer ein Fluchtplan existiert. Der Mann mit dem Koffer ist besonders groß und breit und verwahrt das gegen Chips eingetauschte Bargeld der Teilnehmer. Angeblich sitzt er im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Geldkoffer, meist direkt am Hinterausgang der Location. Rückt die Polizei an, ist der Mann mit dem Geldkoffer im Nu verschwunden und der Straftatbestand des illegalen Glücksspiels nur noch schwer nachzuweisen.
Es habe sich um ein Treffen unter Freunden und ein Pokerturnier um Spielgeld gehandelt, bekommen die Polizisten dann in ihrer Befragung von den Anwesenden zu hören, vorausgesetzt sie erhalten überhaupt Antworten.
Verbrechen lohnt sich nicht?
Für die Veranstalter ist die Organisation einer solchen Runde ein einträgliches Geschäft. Nicht selten zahlen sie sich von jedem Endpott 5 % für ihre Mühen aus, von den schier unendlichen Möglichkeiten, Teilnehmer durch Betrug um ihre Gewinne zu bringen, gar nicht zu sprechen.
Doch nicht nur finanziell betrachtet begeben sich die Teilnehmer der illegalen Pokerrunden auf gefährliches Terrain. Im Oktober eskalierte ein Streit um Einsätze bei einer illegalen Pokerrunde in Berlin.
Augenzeugenberichten zufolge waren im Hinterzimmer eines Café-Casinos mehrere Männer bei einer Pokerrunde in Streit geraten und anschließend mit Baseballschlägern, Hämmern und Äxten aufeinander losgegangen. Als dann noch Schüsse fielen, sackte eine 23-jährige Frau, die an dem Treffen teilgenommen hatte, getroffen in sich zusammen. Sie verstarb noch am Tatort.