Onlinespielsucht soll anerkanntes Krankheitsbild werden
Wenn es nach der Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht, dann gehören Online Spiele bald zum offiziell anerkannten Krankheitskatalog. Zusammen mit der renommierten American Psychological Association (APA) arbeiten Mediziner und Psychologen nämlich an der Anerkennung des Krankheitsbildes „Internet Gaming Disorder“ (IGD).
Diese Störung, an der auch unter der Bezeichnung „Gaming Disorder, predominantly Online“ gearbeitet wird, soll offenbar schon bald in den offiziellen Listen anerkannter Krankheitsbilder auftauchen. Die Definitionen von WHO und APA sind von großer Bedeutung und eine wichtige Referenz für behandelnde Ärzte. Mit einer Aufnahme in die Listen könnte Onlinespielsucht so zu einer behandlungswürdigen krankhaften Störung werden, deren Behandlung Ärzte bei den Kassen abrechnen können.
Stigmatisierungswelle befürchtet
Computerspiele müssen nicht gefährlich sein. (Bildquelle)
Zwar befinden sich die Arbeiten an einer Definition der Internet Gaming Disorder als Krankheitsbild noch in der Anfangsphase. Dennoch könnte es damit nicht getan sein. Sachverständige befürchten, dass die Listung weiterer Störungen folgen könnte.
Dann könnten alltägliche Verhaltensweisen und Aktivitäten wie etwa Bloggen oder Facebook ebenfalls zu ernstzunehmenden Krankheiten werden.
Auf Basis der Charakteristika der Onlinespielsucht wäre auch eine Ausweitung auf die Nutzung anderer Medien und sozialer Netzwerken wie Twitter, Instagram und Co. denkbar und möglich. Durch die analoge Anwendung der Kriterien der Onlinespielsucht entstünde so eine breite Palette neuer Krankheitsbilder.
IGD mit Vorsicht zu genießen
Ein solcher regelrechter Pathologisierungswahn ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite kann die Behandlung ernsthaft von pathologischem Spielverhalten betroffener Personen beschleunigt und verbessert werden.
Auf der anderen Seite birgt er die Gefahr, dass Beratungsstellen, Psychologen, Mediziner oder übervorsichtige Freunde und Familien zu einer allzu raschen Diagnose neigen, vor allem, wenn lukrative Abrechnungsmöglichkeiten über die Krankenkassen oder den „Patienten“ selber winken.
Die neue Risikogruppe der „Internetspielsüchtigen“ würde somit ein potenzielles neues Geschäftsfeld für medizinische Behandlungsstellen darstellen, das sich mit Hilfe von teuren Therapien ausschöpfen lassen können würde.
Definition bereits als Betaversion verfügbar
Die Listen der WHO sind wegweisend. (Bildquelle)
Auch wenn sich der Prozess noch nicht dem Ende nähert, so gibt es doch bereits eine Betaversion der Online Gaming Disorder. Diese ist Teil der offiziellen Diagnoseliste „International Classification of Diseases“ (ICD) der Weltgesundheitsorganisation.
Als weltweit anerkannte Klassifikation von Krankheiten und als Entscheidungsgrundlage hinsichtlich der Frage, ob er sich bei einer Beschwerde um eine Krankheit handelt oder nicht, ist die ICD von enormer Bedeutung für die globale Gesundheitsbranche.
Die Veröffentlichung einer aktualisierten Ausgabe der International Classification of Diseases ist für 2018 geplant. Dann könnte sie Empfehlungen für die Prävention und Behandlung von Onlinesüchten enthalten, vergleichbar mit Werbeverboten, Aufklärungskampagnen oder Schockbildern bei Alkohol und Zigaretten.
Wissenschaftler zeigen sich besorgt
Auch die Wissenschaft steht dem Vorstoß von WHO und APA kritisch gegenüber. In einer öffentlichen Stellungnahme zum Thema sprechen sich die Experten klar gegen eine Aufnahme von IGD in die International Classification of Diseases aus:
„Eine offizielle Anerkennung dieser Störung, auch schon als Entwurf, wird negative medizinische, wissenschaftliche, öffentliche, gesellschaftliche und menschenrechtliche Auswirkungen haben, die bei einer Entscheidung berücksichtigt werden sollten. Besonderen Anlass zur Sorge gibt die moralische Panikmache hinsichtlich der von Videospielen ausgehenden Gefahr.“
Das Positionspapier von insgesamt 26 führenden internationalen Wissenschaftlern zeichnet ein Zukunftsszenario, in dem Hobbyspieler stigmatisiert und öffentliche Gelder verschwendet werden:
„Außerdem wird die Mehrheit der gesunden und vernünftigen Spieler mit negativen Folgen zu kämpfen haben. Wir gehen davon aus, dass eine voreilige Aufnahmen der Online Gaming Disorder als Diagnose in die Klassifizierung ICD-11 der WHO zu einer ernstzunehmenden Stigmatisierung von Millionen Kindern und Jugendlichen führt, die Videospiele bewusst als Teil eines normalen und gesunden Lebens nutzen.“
Weiter heißt es, dass der Entwurf einer offiziellen Diagnose und Kategorisierung zum jetzigen Zeitpunkt auch aufgrund der wenigen Studien und Forschungsergebnisse auf diesem Gebiet unausgereift und voreilig sei.
Daher fordern die Wissenschaftler die Abkehr von IGD und eine Verwerfung der Störung als Teil der WHO-Listen. Andernfalls würden öffentliche Gelder für die Gesundheitsbranche an der falschen Stelle landen und Computerspieler auf der ganzen Welt sich als „Kranke“ abstempeln lassen müssen.