Landesfachstelle Glücksspielsucht NRW im Interview, Teil 1: Gefahren für Kinder
Verena Küpperbusch spricht über die Gefahren für Kinder (Bild: Landesfachstelle Glücksspielsucht NRW)Am 28. September findet der Aktionstag Glücksspielsucht statt. In diesem Zusammenhang führte die News-Redaktion von Casinoonline.de ein Interview mit Verena Küpperbusch, Leiterin der Landesfachstelle Glücksspielsucht NRW. Im ersten Teil nimmt die Spielsucht-Expertin Stellung zu den Gefahren für Kinder aus glücksspielsuchtbelasteten Familien.
CasinoOnline.de: Welchen Problemen sind Kinder aus glücksspielsuchtbelasteten Familien besonders häufig ausgesetzt?
Verena Küpperbusch: Kinder stehen in diesen Familien unter großen emotionalen und sozialen Belastungen: Sie leiden unter Stress, weil es häufig zum Streit zwischen den Eltern kommt oder Absprachen und Vereinbarungen oft nicht eingehalten werden. Lügen und Vertuschungen rund um das Glücksspielverhalten verunsichern sie zusätzlich.
Zudem erleben Kinder aus glücksspielsuchtbelasteten Familien oft massive Einschränkungen: An Kleidung, Reisen und Spielzeug muss gespart werden – manchmal sogar beim Essen. Vielfach lügen sie dadurch auch selbst, um das Verhalten des glücksspielsüchtigen Elternteils zu decken oder über Geldprobleme hinwegzutäuschen. Sie schämen sich und übernehmen Verantwortung – mehr als ihnen guttut. Das überfordert und verunsichert sie – nicht ohne Folgen: Manche Kinder werden traurig oder wütend. Andere bekommen körperliche Beschwerden. Oft werden ihre Leistungen in der Schule schlechter.
CasinoOnline.de: Welches Risiko langfristiger negativer Folgen sehen Sie für diese Kinder?
Verena Küpperbusch: Kinder, die in einer Familie aufwachsen, in der mindestens ein Elternteil glücksspielsüchtig ist, haben ein deutlich erhöhtes Risiko, selbst Suchtprobleme zu entwickeln. Das konnten Klein & Fischer in ihrer Untersuchung Kinder glückspielsüchtiger Eltern: Hintergründe, Risiken, Hilfen zeigen. Ihr Risiko, später selbst glücksspielsüchtig zu werden, liegt für sie etwa 10-mal höher als bei Gleichaltrigen ohne glücksspielsüchtigen Elternteil.
Der Aktionstag Glücksspielsucht thematisiert die Auswirkungen auf Kinder (Bild: Aktionstag Glücksspielsucht)
Etliche dieser Kinder kämpfen darüber hinaus mit eigener Unsicherheit und einem geringen Selbstwertgefühl. Häufig leiden sie noch als Erwachsene unter psychischen Problemen, wie etwa Angststörungen oder Depressionen – viele sind deswegen in Behandlung. In einer Studie fanden Dr. Hayer und seine Kolleg*innen heraus, dass 13 % der betroffenen Kinder bereits einen Suizidversuch unternommen hatten. Die Studie weist ebenfalls darauf hin, dass diese Kinder einen besonders großen Bedarf an Erfolgserlebnissen, Akzeptanz und Anerkennung haben.
CasinoOnline.de: Welche Hilfsmaßnahmen bieten Sie den Minderjährigen an? Gibt es bestimmte Angebote auf Länder- und/oder Bundesebene?
Verena Küpperbusch: Mit GLÜXXIT bieten wir beispielsweise ein landesweites Präventionsprojekt für Berufskollegs an, mit dem wir insbesondere Multiplikator*innen schulen, also Lehrende, Schulsozialarbeiter*innen und Schulpsycholog*innen. Die Häufigkeit mit der Schüler*innen dieser Schulform ein problematisches oder gefährdendes Glücksspielen entwickeln, ist schon aufgrund ihrer Altersstruktur besonders hoch. Männliche Jugendliche sind dabei häufiger betroffen als weibliche; Jugendliche mit Migrationshintergrund und unzureichender gesellschaftlicher Integration sind besonders gefährdet.
Für Kinder und Jugendliche gibt es darüber hinaus Beratungsstellen, die spezielle Hilfeangebote bereithalten. Je nach Alter handelt es sich dabei zum Beispiel um erlebnispädagogische Angebote, Kindergruppen oder individuelle Beratungs- und Hilfeangebote für Minderjährige. Zusätzlich gibt es auch Beratungsangebote für Eltern, die Hilfe dabei anbieten, wie Eltern ihre Kinder am besten vor den negativen Einflüssen der Glücksspielsucht schützen können. Eine Liste der Angebote in NRW finden Sie auf unserer Internetseite zum Aktionstag. Bundesweite Hilfeangebote finden Interessierte über www.gamblerkid.com oder bei www.buwei.de.
CasinoOnline.de: Gibt es weitere Daten über die Demografie der Betroffenen?
Verena Küpperbusch: Aktuelle Daten wurden mit dem Glücksspiel-Survey 2021 veröffentlicht. Demnach sind 2,3 % der Deutschen (zwischen 16 und 70 Jahren) von einer Glücksspielstörung betroffen. Der Survey unterscheidet dabei zwischen einer leichten (1,1 %), mittleren (0,7 %) und schweren Störung (0,5 %). Hochgerechnet aus Daten des Statistischen Bundesamtes betrifft eine Glücksspielstörung damit etwa 1.380.000 Menschen. Viele dieser Menschen leben in einer Familie und haben minderjährige Kinder: Laut Drogen- und Suchtbericht 2017 trifft das auf ein Viertel bis ein Drittel der Glücksspielsüchtigen zu. Berechnet auf die Anzahl Glücksspielsüchtiger kommt man so auf 345.000 bis 460.000 glücksspielsüchtige Menschen mit Kindern.
Das Statistische Bundesamt weist aktuell eine Geburtenziffer von 1,53 aus. Umgerechnet auf die Anzahl glücksspielsüchtiger Menschen macht das zwischen 528.000 und 704.000 Kinder, die in einer Familie aufwachsen, in der mindestens ein Elternteil glücksspielsüchtig ist. Das ist eine gewaltige Zahl.
Die Probleme beginnen aber nicht erst, wenn eine Glücksspielstörung diagnostiziert wird, sondern bereits, wenn Personen ein riskantes Glücksspielverhalten aufweisen. Laut Glücksspiel-Survey trifft das auf 5,7 % der Deutschen zu. Auch bei ihnen muss man davon ausgehen, dass sie etwa in gleichem Umfang in Familien leben und Kinder haben wie Menschen mit einer Glücksspielstörung. Aus diesen Familien kommen also weitere 1,3 bis 1,7 Millionen Kinder, die von den Folgen des Glücksspielens unterschiedlich stark betroffen sind. Insgesamt muss also davon ausgegangen werden, dass bis zu 2,4 Millionen Kinder in Deutschland von den Folgen des Glücksspielens betroffen sind.
Lesen Sie am Dienstag im zweiten Teil des Interviews mehr zum Thema Glücksspielwerbung und die Auswirkungen des Glücksspielstaatsvertrags (GlüStV).