Donnerstag, 21. November 2024

Exklusiv: Deutschland, das Glücksspiel und die Mafia – Interview mit dem Mafia-Experten Sandro Mattioli – Teil 2

Sandro Mattioli|Mann zeigt mit Finger auf Betrachter

Der Journalist und Mafia-Experte Sandro Mattioli spricht im exklusiven Interview mit der Casinoonline.de-Nachrichtenredaktion über Fragen nach der Macht der italienischen Mafia in Deutschland und ihrer Verstrickung ins Geschäft mit dem Online-Glücksspiel.

Im ersten Teil des Interviews widmet sich der Experte unter anderem der öffentlichen Wahrnehmung der italienischen Mafia in Deutschland. Zur Sprache kommt auch das in der Vergangenheit immer wieder wegen seiner Glücksspielpolitik in die Kritik geratene Steuerparadies Malta.

In Teil 2 des Interviews untersuchen wir, wie die Mafia über Landesgrenzen hinweg das Glücksspiel zur Erreichung und Verschleierung ihrer Ziele nutzt. Zudem wenden wir uns der Frage zu, ob sich international agierende mafiöse Strukturen von den neuen Glücksspielgesetzen in Deutschland beeindrucken lassen. Das Gespräch führte Jasmin Diop.

Sandro Mattioli

Der investigative Journalist und Mafia-Experte Sandro Mattioli (Bildrechte:Lorenzo Maccotta)

Der Journalist und Autor Sandro Mattioli beschäftigt sich seit vielen Jahren intensiv mit der italienischen Mafia und ihren scheinbar unsichtbaren Aktivitäten in Deutschland. Er ist zudem Vorsitzender der im Jahr 2007 gegründeten NGO Mafianeindanke e.V..

Der Verein ist unter anderem in den Bereichen Kriminalitätsprävention, Geldwäschebekämpfung und Korruptionsbekämpfung aktiv. Er engagiert sich explizit für eine freie Gesellschaft ohne Mafia und Organisierte Kriminalität.

Sandro Mattioli widmet sich dem Thema Mafia in Büchern und Dokumentarfilmen und arbeitet unter anderem für Medien wie die Süddeutsche Zeitung, Der Spiegel, Arte und den Bayerischen Rundfunk. Zudem ist er als Redakteur des Podcasts „Die Mafia spricht Deutsch“ und Vortragsredner aktiv.

Glücksspiel und Geldwäsche: Wie gefährdet ist Deutschland?

Casinoonline.de: Österreichische Behörden haben im Jahr 2018 im Rahmen einer großen Aktion mitgeteilt, dass italienische Mafia-Strukturen innerhalb weniger Jahre 4 Milliarden Euro gewaschen bzw. nach Italien transferiert haben sollen. Dies sei über ein Netz von Online-Wettanbietern, Scheinfirmen, Strohmännern, Stiftungen usw. gelungen. Könnte so etwas theoretisch auch in Deutschland passieren? Gibt es das bereits?

Mattioli: Also zunächst muss man wissen, dass in Italien, ab ungefähr 2015, das Thema Wetten und Ndrangheta/ Cosa Nostra mit einer Vielzahl von Ermittlungsverfahren untersucht worden ist. Man hat in Italien verstanden, dass es solche Konstrukte gibt, und wie gesagt, geht es immer auch um Malta.

Und in diesen Rahmen fügt sich auch besagte Operation. Aber es gab auch eine ganze Reihe von anderen Operationen, die dieses Gesamtbild bekräftigen. Und man hat das in Italien sehr ausführlich untersucht. Die zwei bedeutendsten Organisatoren solcher Wettsysteme sind sogar zu Kronzeugen geworden.

In Deutschland gibt es im Grunde diesbezüglich keine eigenen Ermittlungen, obwohl solche Aktivitäten auch hierzulande passieren. Es ist Fakt, dass Deutschland davon nicht ausgenommen ist. In Deutschland ist aktuell das Problem, dass sich Anbieter mit dem neuen Glücksspielstaatsvertrag bislang oft noch gar nicht lizenzieren lassen müssen.

Mit dem seit Juli gültigen neuen Glücksspielstaatsvertrag haben sich die Spielregeln für Betreiber von Online-Casinos geändert. In der Theorie soll ein staatliches lizenziertes Angebot das Spiel im Internet in geordnete Bahnen lenken und dem illegalen Spiel den Nährboden entziehen.

In der Praxis hat das aktuell noch für die Lizenzvergabe zuständige Regierungspräsidium Darmstadt bislang keinem einzigen Betreiber eine entsprechende bundesweite Konzession erteilt.

Gleichwohl gilt bereits seit rund einem Jahr eine Duldungsregelung für Online-Casinos. Diese erlaubt es Anbietern bis auf Weiteres auch ohne offizielle Lizenz zu operieren.

Viele Betreiber halten sich in Erwartung eines zeitnahen Lizenzerhalts an die daran gekoppelten rechtlichen Vorgaben. Für andere, unseriöse Glücksspiel-Unternehmen bedeutet die aktuelle Situation maximale Freiheit.

Der Mafia in die Karten gespielt

Mattioli: Die aktuelle Situation macht die Kontrolle natürlich noch schwieriger und man kann davon ausgehen, dass das Glücksspiel in Deutschland momentan sehr viel weniger kontrolliert wird als in Italien.

Damit bietet man der Mafia im Grunde leichtes Spiel. Man könnte auch sagen: Man spielt ihr in die Karten.

Dieser Zustand ist gefährlich, weil die italienische organisierte Kriminalität ihre bislang eher auf Italien begrenzten Aktivitäten ins Ausland verlagert. Zumindest die Bereiche, die auslagerbar sind.

Casinoonline.de: Können Sie etwas dazu sagen, wie die Geldwäsche in etwa seitens der Mafia bei Online-Casinos funktioniert?

Mattioli: Man baut ein Unternehmen auf, das im Online-Casino Bereich oder im Wettbereich aktiv ist und bringt Bargeld in dieses Unternehmen ein. Dann transferiert man dieses Geld über Unternehmensketten nach Malta und speist es in Spielsysteme ein.

Smartphone Tastatur Malta Gaming Authrity

Der maltesische Staat und seine Glücksspielbehörde MGA spielen eine große Rolle im Umgang mit dem Online-Glücksspiel (Quelle: Shutterstock)

Man muss zwischen dem Spiel mit Online-Konten und dem, was tatsächlich physisch in den Wettbüros stattfindet, unterscheiden.

Bei den Wettbüros ist es so, dass Bargeld im großen Stil durch Europa gefahren wird und beispielsweise in Polen bei der Bank landet und dann nach Malta transferiert wird und in Wettsysteme eingespeist wird. Diese Fälle gibt es.

Häufig werden Ketten von Unternehmen etabliert, die systematisch ineinandergreifen. Unternehmen, die die Wetten operativ abwickeln, die die Technik zur Verfügung stellen, die Wettbüros betreiben etc. Solche Unternehmen finden sich auch außerhalb Italiens. Das gilt auch für Deutschland. Und am Ende landet das Geld eben in Malta, das ist der ewige Fixpunkt, bevor es dann über die Spielsysteme weiterwandert.

Vertrauen in den starken Staat

Casinoonline.de: Mit dem neuen Glücksspielstaatsvertrag, der seit dem 1. Juli in Kraft ist, wurde das Online-Glücksspiel offiziell erlaubt. Welchen Unterschied macht die Legalisierung für mafiöse Strukturen?

Mattioli: Der Unterschied liegt in der Bekämpfung. Wenn man einen Sektor komplett legalisiert, wird es noch schwieriger darauf hinzuweisen, dass sich Kriminelle in diesem Bereich tummeln und davon profitieren. Unser Verein hat sich stets dafür eingesetzt, dass die illegalen Zahlungsströme der nicht-lizenzierten Angebote unterbunden werden. Damit hätte man das ganze System quasi zurückdrängen können.

Diese Möglichkeit gibt es in dieser Form nicht mehr. Wenn etwas nicht illegal ist, ist der Anreiz, es zu bekämpfen, noch geringer. Aber der war auch vorher schon nicht sehr ausgeprägt, sodass es aus der Sicht der Mafiosi, glaube ich, kaum einen Unterschied macht.

Was jedoch nicht abzusehen ist, ist inwiefern das eine Sogwirkung entfaltet und sich hier vielleicht auf einmal sehr viele Anbieter breitmachen werden – was im Übrigen auch nicht im Sinne der sauberen Anbieter sein kann.

In Deutschland haben wir so ein gewisses Vertrauen in den Staat, was ja auch gut ist, und gehen davon aus, dass der Staat schon weiß, was gut für uns ist. Wenn dann der Staat die Anbieter legalisiert, kann alles ja nicht so schlimm sein. Das halte ich für sehr, sehr schwierig.

Ich finde, dass man sehr restriktiv mit dem Glücksspiel umgehen sollte, weil der zugrundeliegende Mechanismus ja schon mal der ist, dass am Ende nicht die Spieler gewinnen – einmal ganz abgesehen von der Frage einer kriminellen Involvierung.

Lobby as usual

Mattioli: Wenn man sieht, wie immens dieses Business ist, sei es nun mit kriminellen oder nicht kriminellen Akteuren, spricht eigentlich ziemlich viel dafür, das Business ziemlich stark einzuschränken, um die Menschen zu schützen. Allerdings hat sich unser Staat wohl entschieden, da nicht stark durchgreifen zu wollen.

Vermutlich auch, weil die Lobby für das Glücksspiel groß und potent ist. Demgegenüber stehen Vereine, die darauf hinweisen, dass man spielsüchtig werden kann und Vereine, die darauf hinweisen, dass das mit organisierter Kriminalität zu tun hat. In Bezug auf Letzteres gibt es eigentlich nur uns, den Mafianeindanke e.V..

Diese Lobby, die einen Gegenpol bilden könnte, ist also kein großer Player. Wir können keine Lobbyisten abstellen, die einmal im Monat an den entsprechenden Stellen vorbeischauen.

Lesen Sie auch: Casinoonline.de exklusiv: Deutschland, das Glücksspiel und die Mafia – Interview mit dem Journalisten und Mafia-Experten Sandro Mattioli, Teil 3. Zur Sprache kommt unter anderem, welche Rolle die staatlichen Aufsichtsbehörden bei der Bekämpfung von Mafia-Aktivitäten im Glücksspielbereich spielen – oder eben nicht.