Dienstag, 26. November 2024

Von Mitinsassen erschlagen: Der brutale Tod des Glücksspiel­paten James „Whitey“ Bulger

James "Whitey" Bulger 1959|James "Whitey" Bulger 1959|Boston|Alcatraz|James "Whitey" Bulger

James „Whitey“ Bulger (89) war einer der brutalsten und berüchtigsten Mafiapaten der USA. Und einer der wertvollsten Informanten des FBI. Nun wurde er am Dienstag, dem 30. Oktober 2018, von Mitinsassen in einem Gefängnis im US-Bundessaat Virginia ermordet.

Illegales Glücksspiel, Millionengewinn im Lotto, Drogen- und Waffenhandel und der Pate als FBI-Informant: Das Leben des Mafiabosses Whitey Bulger bietet mehr Stoff, als „Die Sopranos“ und „Der Pate“ zusammen. Nun wurde es um eine weitere brutale Episode ergänzt. Das Kapitel Whitey Bulger ist in der Geschichte der Stadt Boston geschlossen, doch die Legende wird wohl weitergeschrieben.

Die kriminelle Karriere begann früh

Boston

Wirkungsstätte von James „Whitey“ Bulger: Boston, Masachusetts (Quelle:pixabay.com/walsarabi, licensed under CC0)

James Joseph Bulger Jr. wurde im September 1929 als Sohn irischer Einwanderer in Boston, Massachusetts, geboren. Aufgrund seiner weiß-blonden Haare erhielt er schon als Junge von den örtlichen Polizisten den Beinamen „Whitey“, den er selbst Zeit seines Lebens verabscheute.

1956 ging es für Bulger, der sich bereits in jungen Jahren einen Namen als Krimineller auf den Straßen Bostons gemacht hatte, zum ersten Mal in ein Staatsgefängnis. Sollte der wegen bewaffneten Überfalls und Lastwagendiebstahl Verurteilte bis zu diesem Zeitpunkt nur kriminell, aber psychisch gesund gewesen sein, dürfte der Aufenthalt im „Atlanta Penitentiary“ maßgeblichen Einfluss auf seinen weiteren Werdegang gehabt haben.

Die Lebensgeschichte Bulgers inspirierte auch die Popkultur. Der Roman „Brutal“ der von Bulgers ehemaligem Schützling Kevin Weeks verfasst wurde, bildete einen der Vorlagen für Martin Scorseses Film „Departed- Unter Feinden“ von 2006.

Jack Nicholson, der den an Bulger angelehnten Mafiapaten verkörperte, wurde als bester Nebendarsteller für die Golden Globes nominiert. 2015 übernahm Johnny Depp die Rolle des Paten im Auftrag des FBI im Film „Black Mass“, zudem basierten etliche Charaktere in Serien wie „Law and Order“ auf dem Bandenchef.

Ein ganz besonderes Programm

Alcatraz

Bulger saß auch im legendären Gefängnis von Alcatraz ein (Quelle:Don Ramey Logan, licensed under CC 3.0)

Gegen die Aussicht auf Strafminderung nahm Bulger gemeinsam mit 18 weiteren Gefangenen für 18 Monate an einem Programm der CIA teil. Inhalt: Die Erforschung der „Gedankenkontrolle“.

Bulger gab später bekannt, man hätte ihn über die wahren Gründe der Experimente im Unklaren gelassen, er wäre davon ausgegangen, es solle an der Behandlung von „Schizophrenie“ gearbeitet werden. Tatsächlich hatte wurden den Insassen LSD und weitere bewusstseinsverändernde Drogen verabreicht.

Zu viel für Whitey Bulger: In seinen Tagebüchern hielt er den Horror dieser Zeit fest, die er als Alptraum, die ihn in den Wahnsinn trieb, beschrieb.

Neun Jahre Gefängnis: Eine gute Schule?

1965 kam Bulger auf freien Fuß. In den neun Jahren in unterschiedlichen Strafanstalten, darunter dem legendären Gefängnis von Alcatraz vor der Küste San Franciscos, hatte Bulger viele neue Kontakte geschlossen und fügte sich bestens in die Unterwelt Bostons ein. Nach einiger Zeit als Buchmacher und Kredithai beging Bulger seinen ersten Mord. Absichtlich und doch aus Versehen: „Whitey“ hatte den Falschen erschossen, wie Weggefährte Kevin Weeks später zu Protokoll gab:

„Jimmy schoss ihm direkt zwischen die Augen. Aber… es war nicht Paulie, es war Donald. Jimmy fuhr sofort zu seinem Mentor Billy O`Sullivan und sagte zu ihm: „Ich habe den Falschen erschossen, ich habe Donald erschossen“. Billy sagte einfach: „Mach Dir keine Sorgen, er war ohnehin nicht gesund. Er hat geraucht. Er hätte Lungenkrebs bekommen.“

Wie überall war das organisierte Verbrechen auch in Boston von Allianzen geprägt: Alte Bündnisse brachen weg, neue entstanden, Bulger sah sich vor, stets auf der Siegerseite zu stehen. Eine Trennlinie aber stand immer im Vordergrund. Die zwischen der irischen und der italienischen Mafia.

Whitey und das FBI: Ein Geben und Nehmen

1971 betrat ein weiterer Player das Spielfeld. Das FBI versuchte, Bulger als Informanten anzuwerben, zunächst ohne Erfolg. Wann und warum der mittlerweile selbst in die erste Riege der Bostoner organisierten Kriminalität aufgestiegene Whitey seine Haltung änderte, ist nicht genau bekannt. Man geht davon aus, dass sein Jugendnachbar John Connolly, der mittlerweile als Ermittler beim FBI arbeitete, einen großen Anteil daran hatte.

Mit Connollys Hilfe gelang Bulger der Aufstieg zum „Paten“. Für Informationen über rivalisierende (italienische) Banden hielt Connolly dem Bandenchef den Rücken frei. Egal ob die Organisation des illegalen Glücksspiels, Waffen- und Drogenhandel oder sogar Mord:

Bulger, der seine Geschäfte aus einem Schnapsladen im Hafenviertel Bostons aus leitete, hatte für knapp zwei Jahrzehnte nichts von Seiten des Staates zu befürchten.

Das Geschäft zahlte sich aus: Während Connolly als knallharter Agent, der die dicken Fische aus dem Geschäft zog, gefeiert wurde, baute Bulger sein Imperium mit äußerster Härte und Brutalität aus. Elf Morde in der Zeit von 1974 bis 1985 konnten Bulger später nachgewiesen werden. In acht weiteren Fällen galt er als Hauptverdächtiger, die Beweise reichten allerdings nicht für eine Verurteilung aus.

Whitey Bulger: Ein skrupelloser Gewalttäter

Meist fesselte Bulger seine Opfer an einen Stuhl und folterte sie, um an Informationen zu kommen, bevor er sie mit einem Kopfschuss hinrichtete. In einigen Fällen mussten sie sterben, weil er fürchtete, sie könnten seine Tätigkeit als Informant für das FBI ausplaudern. Er erwürgte sie mit seinen eigenen Händen.

Das Ende des Imperiums

Als Agent Connolly 1994 in den Ruhestand trat, endete auch das Imperium Bulgers. Ohne die Interventionen des mächtigen Connollys zeigte sich die Bundesbehörde weniger nachsichtig mit dem Paten von Boston und Bulger ging, gewarnt von Connolly, in den Untergrund.

Während die USA Whitey auf die “Most Wanted”-Liste setzten, wo er jahrelang Platz 2 hinter Terroristenführer Osama Bin Laden belegte, machte sich der Untergetauchte ein schönes Leben, was nicht schwer war. Neben den Einkünften aus seinen “Geschäften” hatte Bulger noch ein weiteres Polster: 1991 hatte der Bandenchef gemeinsam mit drei Kumpanen 14,3 Millionen Dollar im Lotto gewonnen. Die Hintergründe konnten nie abschließend geklärt werden, allerdings handelte es sich um ein Los, das zuvor in einem Laden verkauft worden war, der Bulger gehörte.

In den Jahren seiner Flucht gab es immer wieder Berichte von Sichtungen Bulgers. So glaubte man, den Paten in Uruguay, London oder sogar beim Stanley Cup, dem höchstdotierten Eishockey-Turnier der USA, gesehen zu haben.

Nachbarin erkennt 81-jährigen Bulger

James "Whitey" Bulger

Bulger nach seiner Festnahme 2011 (Quelle:The Patrio Ledger, public domain)

2011 dann der Durchbruch für die, eigens zur Fahndung nach Bulger eingerichtete, Sondereinheit des FBI: Eine Frau hatte den Gesuchten in ihrem Nachbarn in Santa Monica erkannt. Der damals 81-Jährige konnte nach 16 Jahren der Flucht ohne Gegenwehr festgenommen werden, in seinem Apartment fand man über 800.000 Dollar in bar, 30 Schusswaffen und etliche gefälschte Papiere.

Im Juni 2013 begann der Prozess gegen Bulger, der sich zu allen Vorwürfen „nicht schuldig“ bekannte. Nach zwei Monaten Verhandlung in denen 72 Zeugen gehört wurden, wurde Whitey Bulger in insgesamt 31 Anklagepunkten schuldig gesprochen, darunter elf Morden.

Seine Strafe: Zweimal Lebenslänglich plus fünf Jahre. Nach 46 Jahren in Freiheit war klar, dass Bulger in Gefangenschaft sterben würde.

Gewaltsames Ende eines gewaltsamen Lebens

Dies ist nun passiert, wenngleich Bulger nicht an altersbedingten Gesundheitsproblemen starb. Medienberichten zufolge soll Bulger mit einer mit schweren Gegenständen gefüllten Socke erschlagen worden sein. Darüber hinaus hätten die Täter versucht, ihm die Augen auszustechen, eine in Mafiakreisen bekanntes Strafe für Verräter.

Hauptverdächtig ist der wegen mehrfachen Mordes verurteilte 51-jährige Fotios „Freddy“ Geas. Geas hat sich einen Namen als Auftragsmörder der italienischen Mafia gemacht, seine Opfer waren immer wieder mutmaßliche Polizeiinformanten.

Nach Angaben des „Boston Globe“ streitet Geas seine Beteiligung am Mord an Bulger nicht ab, äußert sich aber weder zu Motiv, Auftraggeber noch Mittätern.

Es ist fraglich, ob und wie der oder die Mörder des James „Whitey“ Bulger jemals zur Rechenschaft gezogen werden können. Das United States Penitentiary, Hazelton, in West Virginia, in das Bulger erst Stunden vor seinem Tod überführt wurde, ist ein Hochsicherheitsgefängnis. Die Chancen, es jemals wieder zu verlassen, waren auch vor der Bluttat schon bei allen Insassen gering.