Japan: Mit Glücksspiel gegen Einsamkeit und Demenz
Wie wir im Juli berichteten, entschloss sich die japanische Regierung im Sommer 2018 zur Verabschiedung eines neuen Casinogesetzes. Durch das neue Gesetz werden Casinos in Japan erstmals legal.
Doch während die Casinobetreiber eifrig nach neuen Standorten für ihre Geschäfte suchen, tummeln sich bereits die Senioren an den Spieltischen des Heimbetreibers ACA Next Inc.
Ein Las Vegas für Senioren in Tokio
Eines der Tageszentren, die von ACA Next Inc. betrieben werden, ist das „Las Vegas Adachi Branch“ in Tokio. Es wurde im Jahre 2013 eröffnet und bietet von Pachinko-Maschinen bis Mahjong und Baccarat alles, was das Spielerherz begehrt.
Was ist Pachinko?
Pachinko ist das beliebteste Glücksspiel der Japaner. Beim Pachinko werden Metallkügelchen in einen senkrechten Automaten geworfen. Dieser verfügt über ein Labyrinth aus Stiften, durch das die Kügelchen in Gewinn- und Nietenlöcher geleitet werden. Gewonnene Kügelchen können nach dem Spielen gegen Sachpreise eingetauscht werden. Geldgewinne soll es nicht geben. Allerdings können die Kügelchen auch gegen kleine Barren aus Feingold getauscht werden.
Die Senioren, die an den Spieltischen Platz nehmen, sind im Durschnitt 80 Jahre alt und leiden unter einer leichten Form von Demenz. Nur etwa ein Drittel der Spieler ist weiblich.
Chips und Spielkarten werden von Mitarbeitern der Einrichtung vergeben. Sie fungieren als Spielleiter und verteilen auch die Spielwährung „Vegas“.
Mit echtem Geld darf im Tageszentrum nämlich nicht gespielt werden. Das Spielen gilt vielmehr dem Spaß und der Rehabilitierung. Trotzdem darf sich der größte Gewinner des Tages auf eine Belobigung freuen.
Pachinko ist das beliebteste Glücksspiel in Japan (Quelle: Flickr)
Auch wird durch die Gemeinschaft am Spieltisch ein bekanntes Problem der japanischen
Gesellschaft bekämpft: Einsamkeit. Unter „Hikikomori“ verstehen die Japaner das Leben in der Einsamkeit.
Ein Phänomen, dass vor allem unter jungen Menschen verbreitet ist, die sich dem hohen Druck der konformistischen Gesellschaft entziehen wollen.
Doch Einsamkeit und Isolation kennen keine festen Altersgrenzen. Die japanische Regierung hat deshalb erst kürzlich eine Studie in Auftrag gegeben, die das Ausmaß von „Hikikomori“ unter älteren Menschen erforschen soll.
Spielen gegen Demenz
Kikunori Shinohara, Professor für Neurowissenschaften an der Suwa University of Science, hat sich intensiv mit den kognitiven Funktionen von Senioren auseinandergesetzt. Er sieht positives Potential im Spielen:
Teile des Gehirns, die mit kognitiven Funktionen und Motivation verbunden sind, erhöhen wahrscheinlich ihre Aktivität beim Spielen von Mahjong, Pachinko, Kasinospielen usw. Das Spielen kann helfen, die Motivation älterer Menschen zu erhalten, wenn es in ihre Rehabilitation einbezogen wird.
Das Spielen einen positiven Effekt auf Körper und Geist haben kann, erkannten scheinbar auch immer mehr Angehörige pflegebedürftiger Senioren. Die Pseudo-Kasinos erfreuen sich nämlich eines raschen Wachstums. Zwanzig casinoähnliche Tagesstätten in sieben Präfekturen wie Tokio, Kanagawa und Aichi wurden bereits in Betrieb genommen. Bis 2020 will ACA Next Inc. sogar 100 Filialen eröffnet haben.
Gegenwind aus der Politik
Einige japanische Regionalregierungen stehen dem Glücksspiel in Tageseinrichtungen trotzdem kritisch gegenüber. So hatte die Stadt Kobe in der Präfektur Hyogo schon im Jahre 2015 beschlossen, dass keine Gelder aus der öffentlichen Pflegeversicherung an Einrichtungen gegeben werden sollten, die Glückspiele anbieten.
Viele Japaner fühlen sich einsam (Quelle: Flickr)
Ähnlich sehen es die Politiker anderer Präfekturen, die selbst die Verwendung von Spielgeld in den Tageseinrichtungen verbieten möchten.
Die Befürworter stärkerer Regulierungsmaßnahmen argumentieren vor allem mit der Suchtprävention. Gegenüber der japanischen Tageszeitung „The Mainichi“ erklärte ein hoher Regierungsbeamter der Präfektur Hyogo:
Sie können nicht rechtfertigen, dass Senioren Spielsüchtige werden, indem sie ihnen erlauben, mehr als die Hälfte ihrer Zeit damit zu verbringen, in einer Betreuungseinrichtung Spiele zu spielen.
Es sei zudem fraglich, ob das Angebot von Glücksspielen überhaupt unter den Betreuungsbegriff fiele und damit förderbar sei.
Die Zentralregierung in Tokio hält sich hingegen bedeckt. Laut Aussagen des Gesundheitsministeriums wolle man sich nicht in die Regulierung der Einrichtungen einmischen. Es sei Aufgabe der Regionalregierungen, die Tagesstätten zu regulieren.
Der Stand in Deutschland
Längst ist das Glücksspiel auch in deutschen Seniorenheimen angekommen. Zwar gibt es in Deutschland keine speziellen Spieleinrichtungen, die Tagesangebote für Senioren bieten – Bingo- und Skatabende finden in vielen Altenheimen trotzdem regelmäßig statt.
Dieser Umstand rief 2017 die Rechnungsprüfer der Sozialbetriebe Köln (SBK) auf den Plan. Wie die WAZ berichtete, hatte ein Altenheim in Köln eine Tafel Schokolade als „Bingo-Preis“ eingekauft und deklariert.
Das SBK untersagte daraufhin jedes weitere Bingo ohne behördliche Erlaubnis. Die Begründung: Es handle sich um illegales Glücksspiel, weil für den Erwerb einer Gewinnchance ein Entgelt gezahlt werden müsse. Um am Bingo-Turnier in Köln teilzunehmen, war der Erwerb eine Spielkarte notwendig.
Die Diskussion über die Vor- und Nachteile von Glücksspielen für Senioren scheint in Japan weiter zu sein als in Deutschland. Doch gerade die aktuelle Debatte über die Alterung der Bevölkerung könnte Anlass geben, die Diskussion über innovative Pflege- und Betreuungskonzepte neu aufzuwerfen.