Samstag, 23. November 2024

Sommermärchen-Affäre: Spitzenfunktionäre fordern Abweisung der Klage wegen Steuerhinterziehung

Niersback und Zwanziger|Schmidt

Um das sogenannte „Sommermärchen“, die 2006 in Deutschland ausgetragene Fußball-Weltmeisterschaft, ranken sich seit einigen Jahren Gerüchte. Sie handeln von Korruption, Schwarzgeld und Steuerhinterziehung. Hauptakteure sind ehemalige Spitzenfunktionäre des DFB. Die Staatsanwaltschaft möchte drei Ex-Topmanager vor Gericht sehen. Deren Anwälte fordern nun jedoch eine Zurückweisung der Klage.

Wie kam das Sommermärchen nach Deutschland?

Schmidt, Zwanziger, Beckenbauer und Niersbach

Vorfreude aufgrund schmutziger Geschäfte? Schmidt, Zwanziger, Beckenbauer und Niersbach vor der WM 2006 (Quelle:Handelsblatt)

„Die Welt zu Gast bei Freunden“ war das Motto der Fußball-WM 2006 in Deutschland. Millionen Menschen reisten an, um ihren Teams vor Ort zuzujubeln. Wie es aber dazu kam, dass die Weltmeisterschaft überhaupt in der Bundesrepublik ausgetragen wurde, ist bis heute nicht klar.

Dubiose Geldflüsse, Erinnerungslücken, ein überschaubarer Kooperationswille bei den Verantwortlichen, das Sommermärchen hat mit den ersten Enthüllungen des Magazins „Der Spiegel“ im Jahr 2015 einen bitteren Beigeschmack bekommen.

Nach langjährigen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Frankfurt/ Main und der Steuerfahndung sollen endlich Licht und Klarheit in die Angelegenheit und Spitzenfunktionäre des deutschen Fußballs wegen Steuerhinterziehung in Millionenhöhe vor Gericht gebracht werden.

Einen Tag vor Anpfiff des Auftaktspiels der Fußballweltmeisterschaft 2018 in Russland verkündete der Fußballweltverband den Austragungsort der WM 2026. Die Dreier-Kandidatur aus Kanada, Mexiko und den USA erhielt den Zuschlag. Konkurrent Marokko musste sich geschlagen geben.

Aufgrund des 2007 modifizierten Rotationsverfahren waren europäische (WM in Russland 2018) und asiatische (WM in Katar 2022) Verbände nicht als Bewerber zugelassen.

Im Gegensatz zum bisherigen Verfahren war es keine FIFA-Exekutive, die über die Vergabe entschied, sondern die Versammlung der Mitgliedsverbände. Abgesehen von den Bewerbern selbst hatte jeder der 207 Mitgliedsverbände eine Stimme. Das amerikanische Bündnis erlangte mit 134 Stimmen die notwendige absolute Mehrheit.

Während sich Kuba, Slowenien und Spanien der Stimmen enthielten, wählte Iran die Option „keiner von beiden“.

Deutschland, Liechtenstein, Österreich und die Schweiz hatten für das Dreierbündnis gestimmt.

Betroffen sind mit Theo Zwanziger, Wolfgang Niersbach und Horst R. Schmidt drei hochrangige Vertreter des damaligen Organisationskomitees. Im Raum steht der Vorwurf, rund 13,7 Millionen an Steuern seien durch falsche Kennzeichnung am Fiskus vorbeigeschleust worden.

6,7 Millionen für eine Gala, die nie stattfand

Insbesondere eine Zahlung von 6,7 Millionen Euro, die der DFB an den früheren adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus geleistet hatten, erregt das Interesse der Ermittler. In der Steuererklärung 2006 war die Transaktion von 2005 als „Betriebsausgabe“ deklariert worden und wurde so als „gewinnmindernd“ geltend gemacht. Als Grund wurde der Kostenbeitrag zu einer WM-Gala angegeben, diese hatte aber nie stattgefunden.

Der Verdacht: Bei der Zahlung könnte es sich um die Rückzahlung eines Kredites handeln, den der Schweizer Mogul dem Präsidenten des deutschen Komitees Franz Beckenbauer gewährt hatte. Bereits 2016 hatte der DFB ein Gutachten in Auftrag gegeben, das sich mit dem Korruptionsverdacht rund um die Vergabe der WM beschäftigen sollte.

In ihren Recherchen waren die Juristen damals auf einen Vorgang gestoßen, der mit dem jetzt drohenden Prozess wegen Steuerhinterziehung in direktem Zusammenhang steht.

Dubiose Geldflüsse nach Katar

Im Vorfeld der WM-Vergabe waren ab Ende Mai 2002 sechs Millionen Schweizer Franken von einem Konto des damaligen Präsidenten des Organisationskomitees, Franz Beckenbauer und seines Managers, auf das Konto einer Schweizer Kanzlei überwiesen worden. Diese transferierte denselben Betrag wenig später in mehreren Tranchen auf ein Konto der Firma Kemcho nach Katar. Verwendungszweck: „Erwerb von TV und Marketingrechten Asienspiele 2006“.

Bin Hammam, Blatter

Mittelsmann aus Katar? Mohammed Bin Hamman (l., hier mit Ex-FIFA-Chef Sepp Blatter). (Quelle:Tagesspiegel)

Kemcho ist Teil der Firmengruppe von Mohamed Bin Hammam, einem früheren Mitglied des FIFA-Exekutivkomitees, dem höchsten Entscheidungsgremiums des Weltfußballs. Bin Hammam wurde 2012 lebenslang von der FIFA gesperrt, weil er versucht hatte, für seine Wahl zum FIFA-Präsidenten Stimmen zu kaufen.

Wenige Tage nachdem das Geld in Katar eingetroffen war, erhielt die Schweizer Kanzlei Gabriel & Müller einen Betrag von zehn Millionen Schweizer Franken von adidas- Chef Louis-Dreyfus. Sechs Millionen flossen hieraufhin auf das Beckenbauer`sche Konto, die restlichen vier Millionen gingen mit der Angabe „Asian Games 2006 Schlusszahlung“ wiederum an Kemco in Katar.

Stimmen für Abstimmung gekauft?

Als Hintergrund vermuten Journalisten und Ermittler, dass der DFB bei der Vergabe der WM hatte zittern müssen und sich gegen Mitbewerber Südafrika nicht allein mit guten Argumenten durchsetzen konnte. Bislang liegen keine Beweise dafür vor, dass der DFB die vier asiatischen Stimmberechtigten, die geschlossen für die Bundesrepublik als Austragungsort stimmten, mithilfe von Bin Hammam geschmiert hat. Viele Indizien deuten aber in diese Richtung.

So soll beispielsweise Günter Netzer einem DFB-Mann auf die Frage, was denn mit den Millionen geschehen sei, vielsagend geantwortet haben:

Damit haben wir die vier Asiaten bezahlt.

Netzer selbst bestreitet, jemals einen solche Aussage getätigt zu haben.

Auch auffällig: Mohammed Bin Hammam wandte sich 2009 an Beckenbauer, um sich Unterstützung für das Vorhaben, die WM 2022 nach Katar zu holen, zu sichern. In einer Mail erinnerte er den nun auch im Exekutivkomitee ansässigen Deutschen daran, „geholfen zu haben, die asiatischen Stimmen für Deutschland zu sichern“.

Prozess träfe den gesamten DFB

Dass nun die damaligen Spitzenfunktionäre des Organisationskomitees für die mutmaßlich falsche Kennzeichnung der 6,7 Millionen, die an Louis-Dreyfus flossen, geradestehen sollen, bringt neuen Schwung in die bereits Jahre andauernden Ermittlungen.

Sollte es zum Prozess kommen, stünden nicht nur die steuerlichen Angelegenheiten, sondern auch die gesamten Vorgänge rund um die WM-Vergabe 2006 auf dem Prüfstand.

Ende Oktober 2017 hatte das Finanzamt Frankfurt bereits eine Strafe von 19,2 Millionen Euro gegen den DFB verhängt, weil es die Zahlung als „steuerlich unzutreffend“ behandelt sah.

Die Anwälte der Funktionäre haben sich mit einem Widerspruch an die II. Große Wirtschaftskammer des Landgerichts Frankfurt/ Main gewandt.

Sie beklagen, die Gegenseite ziehe in ihrer 144-seitigen Anklageschrift vom Mai 2018 falsche Schlüsse, zudem sei entlastendes Beweismaterial nicht ausreichend gewürdigt worden. Auch der DFB hält an der Aussage fest, die Zahlung sei betrieblich bedingt gewesen und stehe nicht im Zusammenhang mit einem Privatdarlehen Beckenbauers.

Bei Verurteilung drohen den Spitzenfunktionären empfindliche Strafen: Schwere Steuerhinterziehung wird in Deutschland mit Haftstrafen von sechs Monaten bis zehn Jahren geahndet. Übersteigt der hinterzogene Betrag die Grenze von einer Million Euro, kann die Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt werden.