Jerry and Marge Go Large: Wie das Ehepaar Selbee die Winfall-Lotterie knackte
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Jerry Selbee gelang es, seine Begabung für Zahlen und Statistik erfolgreich auszunutzen. Als Rentner entdeckte er ein Schlupfloch in der im Jahr 2003 in seiner Heimat im US-Bundesstaat Michigan eingeführten Winfall-Lotterie.
Zusammen mit seiner Frau Marge begann er, die Schwachstelle im großen Stil auszunutzen und mit kleinen Gewinnen ein Vermögen anzuhäufen.
Dazu gründeten die beiden sogar ein Unternehmen und verlegten ihr Lotterie-Spiel in einen anderen Bundesstaat, nachdem die ursprüngliche Lotterie eingestellt wurde. Ihre ganz legalen Gewinne von insgesamt mehreren Million Dollar nutzten sie unter anderem, um in ihre Heimatstadt zu investieren.
Probleme gab es erst, als Rivalen dieselbe Schwachstelle ausnutzten und dabei deutlich aggressiver vorgingen. Aufgrund einer Untersuchung wurde die Lotterie letztlich eingestellt.
Der Regisseur David Frankel hat die Geschichte des Ehepaars unter dem Titel Jerry and Marge Go Large mit Breaking-Bad-Star Bryan Cranston und Annette Bening in den Hauptrollen verfilmt.
Die Geschichte der Selbees: Rentner-Ehepaar knackt die Lotterie
Gerald Selbee, genannt Jerry, hatte schon immer eine Begabung für Zahlen und sah in jeder Zahlenfolge und in jedem Code ein Puzzle, das es zu knacken galt. Im Jahr 1966 arbeitete er für Kellog’s in Michigan und beschäftigte sich mit den Verpackungen der Konkurrenz. Dabei fiel ihm auf, dass General Mills einen Code verwendete, um Herstellungsort, Schicht, Zeit und Datum aufzudrucken.
Innerhalb kürzester Zeit hatte er den Code geknackt. Allerdings blieb seine Entdeckung folgenlos: Im Geschäft der Frühstücksflocken handelte es sich beim verschlüsselten Herstellungszeitpunkt um kein wertvolles Geschäftsgeheimnis.
Jerry ließ sich davon nicht entmutigen und sammelte im Laufe seines Lebens mehrere Abschlüsse, darunter einen Bachelor in Mathematik und Betriebswirtschaft und einen Master in Betriebswirtschaftslehre. Er war stets auf der Suche nach „Lücken“ in bestehenden System.
So kaufte er beispielsweise Münzrollen von der Bank, in der Hoffnung, darunter seltene Münzen mit einem höheren Wert als den Nennwert zu finden. Auf diese Weise verdiente er rund 6.000 US-Dollar nebenher.
Im Jahr 1984 machte sich Jerry zusammen mit seiner Frau Marge selbstständig. Dazu analysierte er 32 zum Verkauf stehende Lebensmittelgeschäfte in Michigan, um eine geeignete Investitionsmöglichkeit zu ermitteln.
Seine Wahl fiel auf Evart, eine Kleinstadt von damals nicht einmal zweitausend Einwohnern. Doch die ansässige Autoindustrie sorgte für stetige Kunden.
Obwohl sie selbst keinem „Laster“ frönten, verkauften Jerry und Marge Alkohol und Zigaretten, und Jerry war stets auf der Suche, wie er das Inventar und seine Anordnung für maximalen Profit optimieren konnte. Nach einem Jahr verkaufen die Selbees auch Lotto-Tickets für die Staatslotterie in Michigan.
Es wurde zur Gewohnheit der Kunden, mit jedem Einkauf ein paar Lose für Sofortgewinne mitzunehmen. Die Selbees setzen pro Jahr rund 300.000 US-Dollar mit Lotto-Tickets um und konnten davon rund 20.000 Dollar an Profit einstreichen.
Im Jahr 2000 setzten sich Jerry und Marge zur Ruhe und ihr Geschäft wechselte die Besitzer. Jerry schaute dort regelmäßig vorbei, und im Jahr 2003 fiel ihm auf, dass es ein neues Glücksspiel gab: die Winfall-Lotterie.
Er warf einen Blick in die Broschüre und die Auszahlungsstruktur und entdeckte eine „Lücke“, eine Schwachstelle, die sich ausnutzen ließ.
Die Winfall-Lotterie in Michigan
Die Tickets für die Winfall-Lotterie kosteten lediglich einen US-Dollar. Die Spieler wählten 6 Gewinnzahlen von 1 bis 49 aus und hatten damit bei der Ziehung eine Chance auf einen garantierten Jackpot von mindestens zwei Millionen US-Dollar. Auszahlungen gab es aber auch für fünf, vier, drei oder lediglich zwei richtige Gewinnzahlen.
Der damals 64-jährige Rentner Jerry bemerkte sofort, dass eine Besonderheit der Lotterie die Gewinnchancen verbesserte: der sogenannte Rolldown. Gewann niemand den Jackpot und stieg dieser auf mehr als fünf Millionen an, löste das einen Rolldown für die nächste Ziehung aus. Gab es bei dieser Ziehung wieder keinen Gewinner mit sechs Richtigen, erhöhten sich die Auszahlungen für die niedrigeren Gewinnklassen.
Jerry überschlug die Rechnung im Kopf und multiplizierte später die Gewinnchancen mit Papier und Bleistift aus. Er kam zu dem Ergebnis, dass ein Winfall-Ticket für eine Rolldown-Ziehung statistisch betrachtet mehr wert war als der Kaufwert von einem US-Dollar.
Vorausgesetzt, dass kein Spieler den Jackpot knackte, erhöhten sich die Auszahlungen wie folgt: Drei richtige Gewinnzahlen erhielten 50 statt 5 Dollar als Auszahlung und vier Richtige sogar 1.000 statt 100 Dollar.
Jerry investierte 2.200 US-Dollar an Tickets in die nächste Winfall-Ziehung mit Rolldown, gewann allerdings nur 2.150 Dollar und erlitt damit einen Verlust von 50 Dollar. Nach seiner Berechnung hatte er aber nur zu wenig Tickets gekauft. Schon bei der nächsten Gelegenheit kaufte er Tickets für 3.400 Dollar und gewann 6.300 Dollar, ein Profit von 46 Prozent.
Im dritten Anlauf steigerte er dies auf 49 Prozent, als er mit 8.000 Dollar an Tickets 15.700 Dollar Gewinn einstrich.
GS Investment Strategies: Das organisierte Lotto-Spiel der Selbees
Bis dahin hatte Jerry Selbee sein Spiel vor seiner Frau Marge verheimlicht. Als er ihr sein weiteres Vorhaben und den Gewinn von 15.700 Dollar mitteilte, wusste sie, dass ihr Mann einfach nur ein weiteres Puzzle gelöst hatte, und ein lukratives obendrein. Allerdings war diese Art des Lotto-Spiels mit großem Aufwand verbunden.
Die damaligen Lotto-Terminals konnten nur 10 Tickets mit jeweils 10 Spielen pro Vorgang drucken, was rund eine Minute dauerte. Nach der Ziehung mussten Jerry und Marge außerdem tausende von Tickets auswerten. Als Rentner hatte das Ehepaar die nötige Zeit, doch bereits nach sechs Monaten gaben sie ihren Kindern die Gelegenheit, ins Spiel einzusteigen.
Bei der ersten gemeinsamen Ziehung mussten die Selbees einen Verlust von 18.000 US-Dollar hinnehmen, da ein Spieler den Jackpot geknackt hatte. Jerry gründete aber ein Unternehmen, GS Investment Strategies, und verkaufte Anteile im Wert von 500 Dollar. Bereits im Jahr 2005 hatte das Unternehmen an 12 Winfall-Ziehungen mit Rolldown teilgenommen und gewonnen.
Im selben Jahr stellte die Michigan-Lotterie allerdings die Winfall Lotterie ein und ersetzte sie durch eine andere Ziehung.
Cash Winfall in Massachusetts
Kurze Zeit später informierte aber ein Anteilshaber der GS Investment Strategies Jerry über eine neue Lotterie im US-Bundesstaat Massachusetts, Cash Winfall. Das Prinzip war ähnlich: Die Spieler wählten 6 Gewinnzahlen zwischen 1 und 46 bei einem Ticketpreis von 2 US-Dollar.
Ein Rolldown wurde bereits bei 2 Millionen statt 5 Millionen ausgelöst. Jerry berechnete die Gewinnchancen und war überzeugt, dass sich der Einstieg lohnte.
Sie überzeugten die Besitzer von zwei Geschäften mit Lotto-Terminals in Massachusetts, in GS Investment Strategies einzusteigen. Im Gegenzug konnten Jerry und Marge vor Ort ihre Cash Winfall Tickets drucken. Für jede Ziehung nahmen sie die Fahrt von 12 Stunden und über 700 Meilen von Michigan bis an die Ostküste auf sich, um vor der Ziehung die Tickets zu drucken und hinterher auszuwerten.
Das dauerte rund zehn Tage mit etwa zehn Stunden Arbeit pro Tag. Für ihre erste Ziehung in Massachusetts kauften sie rund 60.000 Tickets, doch anschließend erhöhten sie die Zahl auf 312.000 und sogar 360.000 Tickets pro Ziehung.
Die Rivalen und das Ende von GS Investment Strategies
Die Massachusetts Staatslotterie tappte keinesfalls im Dunkeln und war sich der Aktivitäten von Jerry und Marge bewusst. Die Glücksspielaufsicht war mehrmals vor Ort und überprüfte die Abläufe, konnte aber nichts beanstanden. Im Gegenteil, die Veranstalter befürworteten den Zusammenschluss zu Spielergemeinschaften.
Davon gab es in der Tat weitere: Der Student James Harvey am Massachusetts Institute of Technology hatte Cash Winfall ebenfalls analysiert und sich mit Gleichgesinnten zu Random Strategies zusammengeschlossen. Sie kauften pro Ziehung 300.000 Tickets für 600.000 US-Dollar. Ying Zhang, ein Forscher an der Universität zu Boston, gründete den Doctor Zhang Lottery Club und spielte ebenfalls Cash Winfall im großen Stil mit Einsätzen bis zu einer halben Millionen Dollar pro Ziehung.
Die Random Strategies Gruppe bemerkte, dass durch die Konkurrenz ihre Einnahmen pro Ziehung sanken, weshalb sie einen Plan für ein aggressiveres Vorgehen entwickelten. Für die Ziehung am 16. August 2010 stand der Jackpot bei 1,6 Millionen Dollar, weshalb die Lotterie keinen Rolldown angekündigt hatte. Die MIT-Studenten nahmen sich daher vor, den Rolldown für die anstehende Ziehung selbst auszulösen und kaufen 700.000 Tickets im Wert von 1,4 Millionen US-Dollar.
Dadurch musste die Lotterie die Ziehung zu Rolldown-Bedingungen durchführen, ohne dass dies angekündigt war. Random Strategies fuhr einen Profit von 700.000 Dollar ein.
Die Betreiber reagierten mit einem Software-Update: Derart hohe Ticket-Verkaufszahlen lösten in Zukunft einen Alarm aus, sodass alle Spieler über einen anstehenden Rolldown informiert wurden. Jerry Selbee war dennoch wütend über das Vorgehen von Random Strategies.
Mit entsprechender Vorbereitung konnte er verhindern, erneut überrascht zu werden und machte bei der Ziehung an Weihnachten im selben Jahr einen Profit von rund 200.000 Dollar.
Im Jahr 2011 jedoch begann Andrea Estes, eine Reporterin für die Zeitung Boston Globe, sich mit Cash Winfall zu beschäftigen. Estes hatte zuvor Korruption in der Politik aufgedeckt und hatte einen Tipp zur Staatslotterie in Massachusetts bekommen. Im Juli 2011 begegnete sie Marge Selbee persönlich, wie sie für eine Rolldown-Ziehung Tickets druckte.
Der Bericht von Andrea Estes erschient nach der Ziehung und löste einen Skandal aus.
Streng genommen durften Ticket-Terminals nur von Angestellten bedient werden und das Drucken von Tickets war nur während der Geschäftszeiten erlaubt. Diese Regelverstöße hatte die Glücksspielaufsicht bei ihren Kontrollen ignoriert, wie Estes zeigte. Es folgte eine Untersuchung der Lotterie durch den State Inspector General. Die letzte Ziehung, an der Jerry und Marge teilnahmen, erfolgte im Januar 2012. Jerry entschloss sich, Andrea Estes in einem Interview sein Vorgehen zu erklären.
Der abschließende Bericht der Untersuchungskommission bestätigte die Regelverstöße, erwähnte aber auch, dass das Vorgehen der Spielergemeinschaften keinen Schaden für andere Spieler verursachte habe. Die Gewinnchancen waren für alle Spieler identisch. Das Problem lag in der Auszahlungsstruktur mit Rolldown.
Jerry und Marge stellten ihr Spiel im großen Stil mit GS Investment Strategies ein. Jerry spielt heute noch ab und zu Powerball Jackpot, wenn auch bislang ohne großen Erfolg. Er hat noch keine „Lücke“ im System gefunden und das „Puzzle“ noch nicht gelöst.
Diese Summe haben Jerry und Marge Selbee insgesamt im Lotto gewonnen
Jerry Selbee erlitt bei seinem ersten Versuch mit der Winfall-Lotterie in Michigan einen Verlust. Er kaufte 1-Dollar-Tickets für insgesamt 2.200 US-Dollar, welche ihm eine Auszahlung von insgesamt 2.150 US-Dollar einbrachten. Er musste also 50 Dollar abschreiben.
Nach seinen Berechnungen hatte er aber einfach nur nicht genügend Tickets gekauft. Drei Monate später wagte er den zweiten Versuch: Winfall Lotto-Tickets im Wert von 8.000 US-Dollar ergaben eine Auszahlung von 15.700 US-Dollar, also einen Reingewinn von 7.700 US-Dollar.
Als Jerry und Marge ihr Lotterie-Unternehmen nach Massachusetts verlegen mussten, blieben sie erfolgreich. Für ihre erste Aktion kauften sie 2-Dollar-Tickets für 120.000 US-Dollar und strichen eine Auszahlung von 178.000 Dollar ein. Ihr Gewinn betrug damit 58.000 Dollar. Sie steigerten ihre Anstrengungen.
Sechs Jahre später, gegen Ende ihres Unternehmens, spielten sie die Winfall-Lotterie für 712.000 US-Dollar und erhielten knapp eine Million, nämlich 998.000 Dollar, für einen Reingewinn von 286.000 US-Dollar.
GS Investment Strategies, das Unternehmen von Jerry Selbee, hat insgesamt 12 Mal an der Winfall-Lotterie in Michigan und 43 Mal in Massachusetts teilgenommen. Lediglich bei drei Ziehungen haben sie damit Kapital verloren.
Winfall-Lotterie in Michigan
- Einsätze: 1,8 Millionen US-Dollar
- Auszahlungen: 2,65 Millionen US-Dollar
- Gewinn: 885.000 US-Dollar
Winfall-Lotterie in Massachusetts
- Einsätze: 17,3 Millionen US-Dollar
- Auszahlungen: 24,2 Millionen US-Dollar
- Gewinn: 6,9 Millionen US-Dollar.
Gewinn von Jerry und Marge insgesamt
Durch ihr Lotterie-Spiel in Michigan und Massachusetts zusammen haben Jerry und Marge insgesamt 7,75 Millionen US-Dollar gewonnen. Über die gesamte Dauer von rund einem Jahrzehnt ihrer Lotto-Tätigkeit haben sie nur drei Mal ihren Einsatz verloren. Der größte Verlust war im Jahr 2007, als sie Tickets für 360.000 Dollar gekauft hatten und ein Spieler mit sechs Richtigen den Jackpot gewann.
Jerry and Marge Go Large: Die Geschichte der Selbees als Film
Der Journalist und Autor Jason Fagone hat im Jahr 2018 einen Artikel in der Huffington Post unter dem Titel „Jerry and Marge Go Large“ veröffentlicht, in dem er ausführlich die Geschichte von Jerry und Marge Selbee erzählt.
Der Regisseur David Frankel, bekannt durch The Devil Wears Prada und Band of Brothers, hat den Stoff unter demselben Titel Verfilmt-das Drehbuch von Brad Copeland basiert auf dem Huffpost-Artikel. Der Film ist im Juni 2022 erschienen.
In den Hauptrollen sind Bryan Cranston (Breaking Bad) und Annette Bening (American Beauty) als Jerry und Marge zu sehen. Zu den Nebendarstellern zählen unter andere Rainn Wilson, Larry Wilmore, Michael McKean und Ann Harada.
Der Film ist in der Originalfassung per Streaming verfügbar auf Paramount+, Prime Video und iTunes. Ein deutscher Verleih scheint aktuell nicht vorgesehen.
Quellen:
- https://www.jasonfagone.com
- https://www.justwatch.com/us/movie/jerry-and-marge-go-large
- https://www.hollywoodreporter.com/movies/movie-reviews/jerry-and-marge-go-large-1235159151/
- https://www.imdb.com/title/tt8323668/
- https://highline.huffingtonpost.com/articles/en/lotto-winners/
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